Am Ende des Regenbogens?
Meine Rückkehr aus Ungarn ist nunmehr etwas über drei Monate her. Und mit dem Comeback-Seminar vergangenes Wochenende habe ich auch mental einen letzten intensiven Blick auf das vergangene Jahr erhalten.
Und nun ist es an der Zeit, ein abschließendes Fazit zu dem Jahr in Ungarn zu ziehen und, mit dem mittlerweile gewonnenen Abstand, den ich nun habe, noch einmal selbst darauf zurückzublicken.
Projekterfolg und Aufenthaltserfolg
Eine der Fragen, die mir immer wieder gestellt wird und wurde ist, was ich in Ungarn eigentlich gemacht habe.
Dann atme ich einmal tief durch, denn die Antwort ist nicht ganz einfach. Da ist das, was ich hätte tun sollen, wofür ich eigentlich nach Ungarn gegangen war, und das, was ich tatsächlich dort getan habe.
Der Europäsche Freiwilligendienst - mittlerweile Teil des Europäischen Solidaritätskorps - sucht einerseits einen kulturellen Austausch zwischen Ländern, andererseits ist das Ziel eines Freiwilligen, vor Ort ein Projekt durchzuführen oder bei einem bereits laufenden Projekt zu helfen - aber der Erfolg des Projekts hängt nicht mit dem Erfolg der persönlichen Reise zusammen, zumindest sollte das nicht der Fall sein.
Mein Projekt hatte eigentlich zum Ziel, unser Camp weiter aufzubauen, die Pferde zu trainieren und Kinder und Jugendliche aus der Umgebung zu regelmäßigen Programmen zu motivieren (darunter z.B. Bogenschießen und eben, nach Training der Pferde, reiten).
Dabei hat sich, in meinem Jahr, fast nichts getan. Einen Pferdetrainer haben wir erst im April bekommen, beim Bogenschießen konnte ich nur den wenigen helfen, die Englisch oder Deutsch sprachen, da mein Ungarisch nicht gut genug war und geworden ist, mit den Jugendlichen in der Region bin ich auch nur wenig in Kontakt gekommen, ebenfalls der Sprachbarriere wegen.
Aber ich würde mein Jahr dennoch als großen Erfolg bezeichnen. Ich habe so viel über mich selbst gelernt, ich habe so viele großartige Menschen getroffen:
- Ich habe mich - privat und auf Seminaren - mit anderen Jugendlichen aus ganz Europa austauschen können und bin mit ihnen auf Reisen gegangen, nach Bratislava, nach Prag, nach Griechenland.
- Ich habe einen Einblick in ein völlig anderes Leben, einen völlig anderen Lebensstil erhalten, bin Teil einer ländlichen Bevölkerung geworden und durfte mit ihnen zusammen das Jahr erleben, mit Weinernte, Ziegenmelken und anderen physischen Hilfsarbeiten wie dem Bauen eines Hundezwingers und eines Daches.
- Ich habe eine mir davor völlig unbekannte Kultur kennen und lieben gelernt, dabei an verschiedenen traditionellen Sportarten teilgenommen (Bogenschießen - auch zu Pferd - und Baranta) und traditionelle kulturelle Ereignisse miterlebt - Nationalfeiertage, Festivals und die offnenen Tanzabende.
Ich hätte gerne noch mehr Ungarisch gelernt, aber ohne einen regelmäßigen und sicheren Ansprechpartner, der einem eine so fremde Sprache näherbringt - zumindest die Ansätze - ist das sehr schwer. Derzeit stehen andere Dinge im Vordergrund, aber ich bin mir sicher, dass ich in Zukunft noch weiter versuchen werde, Ungarisch zu lernen.
Daher kann ich für mich selbst sagen, dass mir dieses Jahr unheimlich viel gebracht hat - Einsicht, in andere Kulturen aber besonders in mich selbst, neue Perspektiven, neue Interessen, neue Freunde. Ein Netzwerk an Bekannten und Freunden in ganz Europa, auf das ich in Zukunft hoffentlich werde zurückfallen können.
Mitbringsel - materiell und immateriell
Natürlich bin ich aus Ungarn nicht mit leeren Händen zurückgekommen. Einerseits handelt es sich bei meinen Mitbringseln um immaterielle Dinge, andererseits um physische Gegenstände, von denen ich einige gerne erwähnen und vorstellen möchte.
Materielle Mitbringsel
- ein Ungarischer Reiterbogen von Kassai, Modell “Agár” (Windhund), dazu ein Satz farblich abgestimmte Pfeile sowie ein von mir selbstgemachter lederner Köcher, den ich in meinen Handarbeitsstunden als “Abschlussarbeit” hergestellt habe. Mit diesem Bogen habe ich einerseits am Bogenschießtraining bei uns im Camp teilgenommen, andererseits auch vom Rücken der Pferde beim berittenen Bogenschießen geschossen. Ich durfte mir diesen Bogen selbst aussuchen, als ich das erste Mal mit im Kassai-Tal war, und habe ihn zum Ende meines Jahres meiner Organisation abgekauft.
- eine Ungarische Bullenpeitsche von Bohos, einem bekannten ungarischen Peitschenmacher, die zu verwenden ich beim Baranta gelernt habe. Diese Peitsche habe ich mir auf dem Festival in Ópusztaszer gekauft, das ich zum Anfang meines Aufenthalts in Ungarn besucht habe.
- eine kleine, aus Weidenästen geflochtene Eule, die ich als Stiftebecher verwende, und die mir als Dank für meine Hilfe mit den Pferden von der Bürgermeisterin von Vereb geschenkt wurde.
- Zu meinem Abschied habe ich außerdem von meinen Freunden aus Vereb und Umgebung noch verschiedene weitere Mitbringsel erhalten, darunter selbstgebrannte Palinka, verschiedene Öle zum Kochen und Verfeinern aus Vereb und eine Flasche Wein, gemacht von der Traubenlese, bei der ich selbst mitgeholfen habe.
- Verschiedene Bücher, die wichtigsten dabei “Feigling” von Sdravko Nenov, das ich von meiner Mentorin geschenkt bekommen habe, und “Bogenschießen vom Pferd” von Kassai Lajos, das mir Sebastian aus dem Kassai-Tal mitgebracht hatte.
Immaterielle Mitbringsel
- Verschiedene neue Accounts auf gemeinschaftsbildenden Plattformen - darunter Couchsurfing, aber auch Facebook (auf beiden darf man mich gerne hinzufügen, sie sind auf meinem Blog auch verlinkt).
- Viele neue Kontakte und Freunde, auf WhatsApp, auf Facebook, auf Couchsurfing, auf Youthreporter und via E-Mail - sowohl ungarischer Herkunft als auch internationaler (und nicht nur Europa-bezogen). Dabei möchte ich insbesondere meine Baranta-Leuten erwähnen, mit denen ich in einem fremden Land einen Haufen lokaler Gleichgesinnter gefunden habe, die mich sofort und ohne zu zögern in ihre Mitte aufgenommen haben.
- Neues Wissen, Lebensweisheiten und Erkenntnisse, die ich - so gut es bei so etwas eben geht - in meinem YouthPass festgehalten habe (eine Art Abschlusszertifikat zum EFD, in dem die Ergebnisse des nicht-linearen Lernens festgehalten werden).
- Viele Spannende Reiseerlebnisse in Städte, Gegenden und Länder in Ungarn und Europa und ein dadurch erfolgendes Kennenlernen verschiedener Kulturen und Geschichten.
- Ich bin mir nicht sicher, ob ich es als immaterielles Mitbringsel zählen kann, aber auch mein Tattoo, das ich mir kurz vor Ende meines Jahres in Krakow habe stechen lassen, möchte ich als wichtiges Mitbringsel hier ebenfalls erwähnen: eine bleibende Erinnerung an mich selbst und wie mein Jahr in Ungarn mich verändert hat, an die Person, die ich war, die ich bin und die ich noch werden möchte.
Ein Ausblick auf die Zukunft
Und wie geht es nun weiter? mag der ein oder andere sich jetzt fragen.
Mit diesem Blog, in dieser Form, erst einmal gar nicht. “Jagd nach dem Regenbogen” war meinem Jahr in Ungarn gewidmet, und dieses Jahr ist mittlerweile abgeschlossen.
Allerdings habe ich einen Narren am Reisen und der Nähe zur Natur gefressen und mir bereits den Zugang zu meinem nächsten Abenteuer gesichert - im Frühjahr nächsten Jahres geht es für mich auf einige Zeit “Work & Travel” nach Kanada. Wie lange genau steht noch nicht fest - das wird wohl auch von der genehmigten Länge meines Visums abhängen.
Aber auch darüber gedenke ich einen Blog zu schreiben, der wohl ähnlich wie dieser aufgebaut werden wird und möglicherweise auch auf derselben Adresse zu finden sein wird. Auch möchte ich weiterhin Zugang zu meinem Ungarn-Blog ermöglichen, “Jagd nach dem Regenbogen” wird also nicht einfach verschwinden.
Erwartet also, wieder von mir zu hören, wenn ich weiter meine Flügel spreizen gehe und über den großen Teich in die Weiten des Wilden Westens entschwinde.
Bis dahin: Danke, dass ihr meinem Blog so treu gefolgt seid! - Eure Frauke
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